Leserbrief zu Wohnflächenbedarf von Norbert Rösch

Fragwürdiger Wohnflächenbedarf“
Leserbrief zum Beitrag „Großer Wohnraumbedarf“ (BZ vom 23. Mai) und zu den Berechnungen des Statistischen Landesamtes, die die Stadtverwaltung als Grundlage für ihre Wachstumsprognosen und den Bedarf an Wohnbauflächen heranzieht.

Will die Stadt zusätzliche Flächen bebauen, muss sie den Bedarf dafür nachweisen. Bei dieser Ermittlung des Wohnflächenbedarfs wendet die Verwaltung jedoch zwei fragwürdige Methoden an: Erstens rechnet sie das durch Zuwachs von außen erzeugte Einwohnerwachstum auf unlautere Art und Weise hoch, und zweitens zäumt sie das Pferd von hinten (von der Nachfrageseite) auf.

In der Gemeinderatssitzung vom 22. März stellte die Stadtverwaltung erstmals die Einwohnerzahl von 30 896 für Emmendingen bis zum Jahr 2021 vor (BZ-Artikel vom 23. März: „Die Stadt wird weiter wachsen“). Aus den 3758 zusätzlichen Einwohnern leitet sie daraus den Bedarf für 52 Hektar Wohnbaufläche ab, „ohne Flüchtlinge, Sozialfälle oder regionale Binnenzuzüge“ (BZ-Artikel vom 23. Mai).
Um ihren Bedarf wissenschaftlich zu untermauern, beruft sich die Stadt auf Angaben des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg (http://www.statistik.baden-wuerttemberg.de Letzteres jedoch stellt drei Entwicklungsvarianten vor: 27 245 (unterer Rand), 29 370 („mittlere“ Hauptvariante) und 30 896 Einwohner (oberer Rand) bis 2021. Ein Vergleich dieser drei Varianten mit der von der Verwaltung vorgestellten Zahl zeigt, dass die Stadt ihren Einwohnerzuwachs auf der Grundlage des oberen Rands des Entwicklungskorridors berechnet. Sie stürzt sich sozusagen auf die „Worst-Case“-Variante.

Zöge die Stadt jedoch die Zahlen der Hauptvariante heran, was methodisch zweifelsfrei korrekter wäre, würde Emmendingen bis 2021 anstelle um 3758 nur noch um 2232 Einwohner anwachsen.

Immer noch viel, aber mit 1526 Einwohner weniger und nur 60 Prozent des von der Stadt formulierten Wohnraumbedarfs ein erheblicher Unterschied. Betrachtet man sogar die Einwohnerentwicklung über 2021 hinaus, so ergeben die Entwicklungszahlen des von der Stadt angewendeten oberen Entwicklungskorridors von 2021 bis 2025 einen weiteren Zuwachs um 1902 Einwohner, von 2025 bis 2030 noch einmal 2225 Einwohner und von 2030 bis 2035 wiederum zusätzliche 2064 Einwohner. Anders formuliert: Alle fünf Jahre bedarf es in etwa einer zusätzlichen Wohnfläche in der Größe von Haselwald/Spitzmatten. Glaubt die Stadt tatsächlich an diese obere Wachstumsprognose?

Die Antwort ist: Nein, das tut sie nicht, nur bis 2021. Danach bezieht sie sich auf die „mittlere“ Hauptvariante, die ab 2021 kein deutliches Wachstum mehr vorsieht: „Bis 2022/23 wird die Bevölkerungszahl ansteigen und dann sich bei 30 000 einpendeln.“ (BZ-Artikel vom 20. Januar Bald 30 000 Einwohner).

Außerdem werden Wohnangebot und -nachfrage verdreht. Die Stadt hat Ende 2014 in einer Gemeinderatssitzung eine Studie vorgestellt, von der sie heute offensichtlich nichts mehr wissen will (Titel: „Bevölkerungsvorausrechnung 2030 Stadt Emmendingen. Ergebnisbericht – Stand – Dezember 2014“.)

Dort steht ganz klar drin, dass die Bevölkerungszunahme vorrangig durch die (politisch und bauplanerisch steuerbare) Bautätigkeit, also von der Angebotsseite her, bestimmt wird. Je nach Bauintensität werden (hier am Beispiel 2021) drei Szenarien vorgestellt: 28 488 (unteres Szenario), 29 021 (mittleres Szenario) beziehungsweise 29 583 Gesamteinwohnerzahl (oberes Szenario). Wiederum ein deutlicher Unterschied zu der von der Stadt genannten Einwohnerzahl, und je nach Szenario zwischen 1313 und 2408 weniger Zuwachs an Einwohnern als die von der Stadt genannten 3758.

Davon sollte man sich nicht unter Druck setzen lassen. Zweifelsfrei wollen und werden in den nächsten Jahren mehrere Zehntausende Menschen aus anderen Regionen Deutschlands in den Nördlichen Breisgau ziehen. Zweifelsfrei wird aber auch der attraktive Wohnstandort Emmendingen viele dieser Menschen nicht aufnehmen können („Von Emmendingen mit der Bahn schneller am Freiburger Hauptbahnhof als aus dem Rieselfeld“, Emmendinger Tor, 7. April).

Letztlich bestimmt das lokale und durch kommunale Baupolitik beeinflussbare Wohnangebot den Einwohnerzuwachs in Emmendingen, wie auch geschehen im Ramie-Areal, wo 50 Prozent der dortigen Eigentümer aus Freiburg zugezogen sind (Emmendinger Tor, 7. April).

Die Menschen werden dorthin ziehen, wo sie eine Wohnung finden. Das kann Emmendingen, aber auch jede andere Gemeinde sein.

Die Art und Weise, wie die Stadt(verwaltung) die Zahlen des Statistischen Landesamts einseitig für ihre Zwecke hochrechnet, dabei noch drauflegt („ohne Sozialfälle oder regionale Binnenzuzüge“) und andererseits den Wirkungszusammenhang zwischen Wohnangebot und -nachfrage ignoriert, ist mehr als fragwürdig. Die Bevölkerung sollte sich dadurch nicht unter Druck setzen lassen.

Norbert Rösch, Emmendingen

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