Haushaltsrede 2022 im Endinger Gemeinderat

Am 4. Mai 2022 hielt Ronald Linder, Finanzpolitischer Sprecher Bündnis 90/Die Grünen im Endinger Gemeinderat, folgende Rede:

» Sehr geehrter Herr Bürgermeister Metz,
sehr geehrte Frau Schäfer,
sehr geehrte Rät*innen, sehr gehrte Bürger*innen,

der uns Rät*innen vorgelegte Haushalt basiert laut Aussage der Kämmerei auf den Orientierungsdaten des Finanzministeriums BaWü vom August und November 2021. Leider ist seitdem mehr passiert als uns allen lieb ist. Die vorgelegten Zahlen sind Schätzungen, die man mit jedem neuen Tag neu anzweifeln kann. Weder die Bundes- noch die Landesfinanzministerien würden die im August letzten Jahres veröffentlichten Orientierungsdaten heute erneut veröffentlichen. Sie sind schlicht nicht mehr gültig.

Ein paar Belege: Alleine 100 Milliarden für Ausstattung und Aufrüstung der Bundeswehr sprengen das Budget von 2022, auch gibt es einen Nachtragshaushalt für die Opfer der Pandemie und die Folgenbewältigung der Ukraine-Krise ist aktuell mit 40 Milliarden € budgetiert.

Die deutsche, aber auch die europäische Wirtschaft ist konfrontiert mit massiven Lieferengpässen und Preissteigerungen und muss zügig und radikal ihre Art zu produzieren ändern. Die Bürger*innen mit kleinen und mittleren Einkommen leiden unter der Inflation und können Miete und Energie ohne staatliche Hilfe nicht mehr bezahlen. Führende Ökonomen sprechen von der Gefahr der Stagflation, eine hohe Inflation kombiniert mit Null- oder negativem Wachstum. Robert Habeck ging letzte Woche noch davon aus, dass die Inflation ein Dreifaches des anvisierten Wachstums sein wird.

Putins Aggression hat alle Menschen zu Verlierern gemacht, allen voran die Ukrainer*innen. Wir sind (noch) nicht direkt bedroht. Bei uns wird „nur“ die Energie teurer. Rohstoffe werden teurer. Investitionen werden teurer. Absatz- und Zulieferermärkte brechen weg. Fakt ist: Es gibt bis auf ein paar wenige Waffenproduzenten keine Gewinner im Krieg, nur mehr Verlierer.

Frau Schäfer gilt unser Dankeschön. Wir haben zugegebener Maßen viel Informationen gefordert, das hat Ihre und unsere Nerven beansprucht, aber als Vertreter des Souveräns war dies zur Ausübung unserer Aufsichtsarbeit schlicht notwendig. Frau Schäfer, Sie haben gute Arbeit geleistet. Vermutlich die beste die sie situativ leisten konnten. Und dennoch, es mag arrogant klingen, aber der vorgelegte Haushalt ist im Grunde im Kontext geopolitischer Umwälzungen eine über 300 Seiten dicke Glaskugel. Wir erinnern daran, dass unser ehemaliger Kämmerer Volker Jauch uns mit einem sehr devoten Corona-Haushalts-Ansatz gut beraten hatte. Den Haushalt, den wir heute verabschieden, hätte man zwar vermutlich noch im November/Dezember 2021 genau so gestaltet wie er jetzt ist, doch die Welt wurde leider über Nacht auf den Kopf gestellt. Wir sind zurück in der heißesten Phase des Kalten Krieges. Eine Zeitenwende!

Im Grunde genommen ist unsere Forderung einfach und im Haushalt in einzelnen kleinen Punkten auch wiederzufinden: Investitionen sind da vorzunehmen, wo sie der ökologischen und sozialen Modernisierung dienen – Digitalisierung eingeschlossen. Wir brauchen massive Anstrengungen im Bereich Sonnen- und Windenergie oder – um es mit Christian Lindner zu sagen – in Freiheitsenergien. Auch private Cluster – im Wärme- und Energieverbund gehören hierzu. Hier ist – soweit möglich – Bürgerkapital zu mobilisieren. Wir haben gesehen, dass Bürgerwille und Bürgerkapital vorhanden wären – siehe BürgerEnergieGenossenschaft. Der Dreiklang für die anstehenden Aufgaben sollte lauten: Bürger-Engagement zulassen, Bürger-Engagement fördern, Bürger-Engagement nicht verhindern – das wäre zukunftsgewandt.

Nicht nur im Eigenbetrieb Wohnbau beschäftigt sich der vorgelegte Haushalt mit diesem Thema. Endingen benötigt Wohnraum für Endinger*innen die in Endingen bleiben wollen aber auch für Endinger*innen die nach Studium und Wanderjahren wieder zurück nach Endingen wollen. Endingen benötigt aber auch Wohnraum für Menschen mit attraktiven Arbeitsplätzen in der prosperierenden Metropolregion Oberrhein. Endingen benötigt auch Wohnraum für Menschen aus Ballungsgebieten als Altersitz in einer sehr lebenswerten Region im Herzen Europas. Endingen benötigt aber auch Wohnraum für Menschen auf der Flucht aus den unzähligen Krisengebieten an Europas Grenzen. Wir benötigen altersgerechten Wohnraum für Menschen mit Pflegebedürfnissen in einer überalternden Gesellschaft und sozialen Wohnraum für Menschen die sich die marktwirktschaftlich rentable Ressource Wohnraum im entstehenden Ballungsgebiet nicht mehr leisten können. Und immer wieder Wohnraum für Menschen auf der Flucht. Aktuell aus der Ukraine. Es wird auch nicht lange dauern, dann benötigen wir auch Wohnraum für Menschen aus Klima-Krisengebieten.

Mit unserem eigenen sozialen Wohnungsbau versuchen wir die negativen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt abzufedern. Was wir wirklich brauchen sind komplette Wohnquartiere. Unsere Planungshoheit muss den Fokus generell auf ökologischen und Sozialität bildenden Wohnungsbau legen. Hier sind primär Wohnbau-Genossenschaften zu gewinnen, ihnen ist der Vorrang vor Kapitalgesellschaften zu geben. Konzepte hierfür existieren, deren Umsetzung ist anderorts gelebte Praxis. Wir könnten dies steuern. Im Haushalt finden wir hierzu keine Ideen. Konkrete Budgets fehlen.

Kommen wir zu einem zweiten für uns Endinger Grüne sehr zentralen Punkt, das Gemeinde-Personal. Ein gewaltiger personeller Umbau ist im Gange. Zum einen fand und findet noch immer ein Generationenwechsel statt, siehe Hauptamt, Personalamt und Bauhof. Zum Anderen werden Aufgaben neu bewertet und verstetigt siehe Bauamt und EDV doch dann knirscht es auch an manchen Stellen das quietschen kommt uns Räten zu oft an die Ohren. Mit ca. einer halben Million € mehr an Personalaufwendungen wird das Endinger Wachstum sichtbar. Nicht alles lässt sich mit dem Argument zusätzlicher oder nicht erledigter Aufgaben erklären. Manches ist auch dem städtischen Wachstum geschuldet: z.B: die zusätzlich notwendigen Kinderbetreuungsplätze oder ein großer Teil der Verwaltung der städtischen Bauangelegenheiten. Gerne hätte ich hier die Korrelationen grafisch untermauert.

Personalkosten entstehen aber auch durch Verwaltung von Personal. Ein Beispiel: Das Führungsmodell – Auftrag – Kontrolle – Revision schafft eine bessere Kontrolle über die geleistete Arbeit, doch das Aufschreiben der Stunden an sich ist eben auch Arbeit. Und zu viel Kontrolle sorgt bewiesenermaßen dafür, dass zwar der Auftrag erfüllt wird, aber eben auch nicht mehr. Moderne Firmen arbeiten deshalb nach dem Modell des New-Work – mit flachen, oder ohne Hierarchien. New-Work arbeitet mit Anreizen, Motivation und Vertrauen.

Auf einen letzten Punkt wollen wir an dieser Stelle noch eingehen: Die Pandemie hatte und hat einige wenige Gewinner aber viel mehr Verlierer, nicht alle sind uns bewusst. Jugendliche gehören ganz klar zu der Gruppe der Verlierer – eingeschlossen sein statt Freiheit erproben, Familie statt Peergroup, um nur zwei Belege zu benennen. Tageschau.de schreibt gestern sogar von einer Jugend in der Dauerkrise.

Wir hätten mit unserem diesjährigen Haushalt die Chance gehabt hier mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Planet-Wissen.de schreibt: „In den vergangenen 25 Jahren ist das Skaten eine der stabilsten globalen Jugendkulturen geworden, dabei war das Skaten zunächst ein Zeitvertreib für kalifornische Außenseiter und Rumlungerer.“ Warum degradieren Mitlieder dieses Rats den Breitensport Skaten zu einer Modeerscheinung? Warum kann man nicht akzeptieren, dass 6,69 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig skaten. Der Sport-Industrie
ist dies bekannt: 3,5 Millionen Skates werden jährlich in Deutschland verkauft. Das sind auf Endingen heruntergerechnet etwas über 400 Skates. Im Übrigen zählen zu den Skates: Skateboards und Inlineskates und eine Skateranlage kann zudem von Scootern und BMX-Fahrern genutzt werden. Eine Skateranlage zieht Jugendliche zu einem Jugendhaus, das sonst recht unattraktiv ist und finanziell heruntergerechnet, auf die jugendliche Bevölkerung Endingens, wäre ein Skaterplatz am Jugendhaus eine Mini-Investition gewesen. Ein Planansatz ist zu wenig. Die Anlage könnte schon lange fertiggestellt sein, das Thema beschäftigt uns schon zu lange.

Kommen wir zu den Eigenbetrieben.

Der Eigenbetrieb Wasserversorgung garantiert gebührenfinanziert die höchstmögliche Qualität des wichtigsten Lebensmittels Trinkwasser. Der Erhalt und der Ausbau, sowie das zukunftsgewandte Sichern der Ressource Trinkwasser will von uns hier extra erwähnt werden, denn er ist jeden Cent seines Haushalts wert.

Der Eigenbetrieb Abwasser beherbergt die größten Schulden der Gemeinde. Dies liegt zum einen an den immensen Kosten dafür, das Wasser, das wir mit unseren Ausscheidungen verunreinigen, wieder umweltgerecht von diesen zu säubern. Riegel geht hier mit seiner Pflanzenkläranlage für wenig verschmutzte Abwässer einen sehr innovativen Weg und Bill Gates investiert nicht umsonst in Komposttoiletten. Auf der anderen Seite ist unser Abwasser-Netz an einigen Knotenpunkten leider nicht mehr zeitgemäß, Extremwetterereignisse stellen die Endinger Abwasserentsorgung vor große Herausforderungen. Das Thema beschert uns eine Generationenaufgabe auch im Kernhaushalt.

Im Gesamten konstatieren wir: Die vorgelegten Haushaltspläne sind vielleicht fachmännische Verwaltung. Was uns jedoch fehlt, ist ein deutliches Mehr an zukunftsfähiger Gestaltung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Endinger Gemeinderat stimmt den aufgestellten Haushaltsplänen kritisch zu.«

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